Netzneutralität – Interview mit Prof. Dr. Ralf Dewenter24.11.2015
Mit Sitzung des EU-Parlaments vom 27.10.2015 wurde entschieden, die Netzneutralität dahingehend einzuschränken, dass bestimmte Dienste wie z. B. „Telemedizin“ gegenüber anderen Datenverbindungen (z. B. TV-Streaming) bevorzugt werden. Die Meinungen zu dieser Entscheidung gehen teilweise weit auseinander.
1.) In den Medien wird aktuell häufig von Netzneutralität gesprochen, können Sie diesen Begriff kurz für unsere Leser erklären?
Ralf Dewenter: Eine allgemeingültige Definition von Netzneutralität existiert zwar nicht, gemeinhin wird jedoch darunter verstanden, dass alle Daten beim Transport im Internet gleich behandelt werden. Es wird also nicht unterschieden, ob z.B. eine E-Mail versendet oder ein Video im Netz betrachtet wird. Alle Daten werden gleich schnell – oder gleich langsam – befördert.
Andere Definitionen sind dagegen weniger streng: So könnte man Neutralität auch so definieren, dass alle Daten gleich behandelt werden, die einem bestimmten Dienst zugehörig sind. Videokonferenzen sind z.B. viel anfälliger für Störungen im Datentransport als andere Dienste. Eine solche abgeschwächte Form der Netzneutralität könnte bedeuten, dass alle Daten, die gleichartigen Angeboten dienen, auch gleich behandelt werden müssen und hier nicht zwischen verschiedenen Anbietern diskriminiert werden darf. Gleichzeitig könnten jedoch Videodaten anderen Diensten vorgezogen werden, die weniger zeitkritisch sind.
Es gibt aber auch noch weitere Auswirkungen der Neutralität. Eine davon ist der Verzicht, Anbieter datenintensiver Dienste, welche die Infrastrukturen stark beanspruchen zu bepreisen. Hier stellt sich die Frage, ob das verursachergerecht ist. Zwar zahlen die Unternehmen für den Zugang zur Infrastruktur aber nicht für die Nutzung. Anbieter, die hohe Datenvolumen verursachen zahlen somit im Prinzip genauso viel, wie Anbieter, die nur wenig Traffic erzeugen.
2.) Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Netzneutralität?
R. D.: Aus meiner Sicht ist Netzneutralität nur dann vorteilhaft, wenn damit Diskriminierung verhindert wird. Eine unterschiedliche Behandlung der Daten unterschiedlicher Dienste, kann durchaus sinnvoll sein, da je nach Dienst unterschiedliche Anforderungen an die Daten gestellt werden. So kann sichergestellt werden, dass – z.B. bei der vielzitierten Telemedizin – die entsprechenden Daten auch rechtzeitig zur Verfügung stehen. Hierbei ist also die Qualität der Übertragung sehr wichtig. Ob eine E-Mail aber zwei oder drei Sekunden später ankommt, ist in aller Regel irrelevant.
a.) Aus Sicht von Unternehmen
R. D.: Hierbei kommt es darauf an, welche Unternehmen betrachtet werden. Ein Anbieter von datenintensiven Angeboten, die aber nicht zeitkritisch sind, profitiert von der Neutralität. Andere leiden aber darunter. Eine Spreizung der Qualität würde aber insgesamt zu besseren Angeboten führen.
b.) Aus Sicht von Privatpersonen
R. D.: Auch hier ist entscheidend, welche Angebote die einzelnen Privatpersonen nutzen. So könnte die Qualität von zeitkritischen Diensten bei Nicht-Neutralität steigen. Nutzer, die z.B. im großen Maße Filesharing betreiben, fahren besser bei Netzneutralität. Ein Verzicht auf eine strenge Netzneutralität kommt auch dem Verbraucher zugute.
3.) Kann die Entscheidung des EU-Parlaments vom 27.10.2015 zur Aufweichung der Netzneutralität als Abschaffung dieser interpretiert werden?
R. D.: Das sehe ich nicht so. Zum einen können nur Spezialdienste vorrangig behandelt werden. Was genau Spezialdienste sind, ist übrigens noch unklar. Bisher ist die Rede von der Telemedizin oder dem hochauflösenden Fernsehen. Zum anderen tendiere ich zu einer weniger strengen Definition von Netzneutralität, die eine ungerechtfertigte Diskriminierung verhindert. Diese Diskriminierungsfreiheit sehe ich jedoch nicht gefährdet. Darüber hinaus verhindert das Wettbewerbsrecht eine solche Diskriminierung auch heute schon. Eine Regulierung der Netzneutralität ist daher also gar nicht notwendig.
4.) Im Zusammenhang mit der Einschränkung der Netzneutralität fällt häufig der Begriff des „Zwei-Klassen-Internets“. Sehen Sie ebenfalls die Gefahr eines Zwei-Klassen-Internets, z. B. durch:
a.) Gebührenerhebung für bestimmte Leistungen (z. B. zur Sicherstellung der Übertragungsqualität)
R. D.: Die Frage ist doch, wer für diese Leistungen zahlt. Vom Datentransport profitieren sowohl die Nutzer als auch die Anbieter der Dienste, die diese Daten erzeugen. Und schon jetzt gibt es auf Verbraucherseite Tarife, die verschiedene Übertragungsraten oder (wie im Mobilfunk) unterschiedliche Datenvolumen beinhalten. Von einem Zwei-Klassen-Internet wird ja auch bei diesen Tarifen nicht gesprochen. Würden nun Anbieter, die große Datenvolumen verursachen oder zeitkritische Dienste anbieten, höhere Preise für diese größeren Mengen oder größere Qualitäten zahlen, sähe ich kein Problem in den höheren Gebühren. Würden jedoch, unabhängig von Dienst und der Qualität der Angebote, nur die Verbraucher zur Kasse gebeten, wäre das durchaus kritisch zu sehen.
b.) Drosselung von Anschlüssen
R. D.: Eine Drosselung von Anschlüssen wäre äußerst kritisch zu sehen. Ein sogenannter Quality of Service, also eine Bevorzugung qualitätssensibler Dienste, macht nur Sinn, wenn es Engpässe gibt. Liegt immer und zu jeder Zeit eine genügend große Bandbreite vor, muss es nicht zu einer Bevorzugung kommen. Eine Benachteiligung ohne Not, wäre daher zu verurteilen. Die Anschlüsse der Nutzer zu drosseln, ohne dass tatsächlich Engpässe vorliegen, ist ebenso zu verurteilen.
5.) Wie gehen andere Länder (außerhalb der EU) mit dem Thema Netzneutralität um? Sind Ihnen hier Beispiele bekannt?
R. D.: Es gibt keinen einheitlichen Umgang mit dem Thema Netzneutralität. In den USA wird diese Diskussion z.B. schon seit einigen Jahren geführt. Ein jeweiliger Vergleich ist aber schwierig, da sich die Gesetze und die Regulierungen zwischen den einzelnen Ländern teilweise stark unterscheiden.
6.) Abschlussfrage: Wie wird sich das Internet der Zukunft Ihrer Meinung nach entwickeln, eher anbieter- oder eher nutzerorientiert?
R. D.: Aus meiner Sicht wird sich das Internet stark nutzerorientiert entwickeln. Quasi täglich entstehen neue Anbieter, neue Geschäftsmodelle oder auch völlig neue Dienste. Die ständige Verfügbarkeit dieser Angebote durch Smartphones, vernetze Autos und öffentliches WLAN beschleunigt diese Entwicklung noch. Es herrscht eine hohe Wettbewerbsintensität, Unternehmen können nur erfolgreich sein, wenn sie Dienste und Produkte entwickeln, die den Präferenzen der Nutzer entsprechen. Dies wird auch in Zukunft so sein.
Wir danken Herrn Prof. Dr. Ralf Dewenter für dieses Interview.
Über den Autor:
Prof. Dr. Ralf Dewenter ist Inhaber des Lehrstuhls für Industrieökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der empirischen Wettbewerbsökonomie und der Regulierungsökonomik. Prof. Dr. Dewenter beschäftigt sich intensiv mit aktuellen Problemen auf Medien- und Telekommunikationsmärkten wie z.B. der Netzneutralität, dem Media Bias oder der Regulierung von Netzindustrien. Darüber hinaus forscht er zu Fragen der ökonomischen Analyse des Wettbewerbsrechts.
Die Äußerungen spiegeln die Meinung des Interviewpartners wider und müssen nicht zwangsläufig mit der von PREISVERGLEICH.de übereinstimmen.
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